Myofunktionelle Therapie für Weil der Stadt
Unterstützende Therapieform in der Kieferorthopädie
Stellt ein Arzt eine Störung im Zusammenspiel dieser Muskeln fest, empfiehlt er eine myofunktionelle Therapie (Myo = Muskel), d. h. eine die Muskelfunktionen verbessernde Behandlung.
Diese wird in der Regel von Sprachtherapeutinnen durchgeführt, die auf diese Form der Behandlung spezialisiert sind. Die myofunktionelle Therapie findet Anwendung in folgenden Bereichen:
- Vorbeugung und Unterstützung zur Kieferorthopädie (z. B. Zahn- und Kieferfehlstellung)
- Unterstützung zur Sprachtherapie (z. B. Lautbildungsfehler)
- Unterstützung der Zahnmedizin (z. B. Prothetik, Zahnerhaltung, Kiefergelenkprobleme)
- Unterstützung der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde (z. B. Mundatmung)
- Unterstützung von Lymphdrainage (durch eine Fisiotherapie)
Störungen im Mund-Gesichts-Bereich können viele Ursachen haben und zu sehr unterschiedlichen Auswirkungen führen. Für eine erfolgreiche Behandlung ist daher die Zusammenarbeit und der Informationsaustausch zwischen diesen verschiedenen Fachberufen notwendig.
Was passiert nun in der Sprachtherapie bei der myofunktionellen Behandlung?
Zunächst ist eine detaillierte Diagnose der gegebenen Auffälligkeiten notwendig. Hierzu wird die Gesamtkörperhaltung, der Schulterstand sowie die Kopfhaltung beobachtet. Im Weiteren werden alle im Gesicht und im Mundraum befindlichen Muskeln durch Bewegungsübungen oder Abtasten beurteilt. Es wird auf die Atmung und den Mundschluss geachtet und es werden Fragen zu Gewohnheiten und zur Ernährung gestellt. Die Wahrnehmungsfähigkeit im Mundraum und die Zungenbewegungen beim Schlucken und Sprechen werden analysiert.
Am Ende sollte eine weitgehend komplette Beschreibung der individuellen Situation im und um den Mundraum entstanden sein. Der dann auszuarbeitende Behandlungsplan geht auf alle Komponenten individuell ein.
Beseitigung schädlicher Gewohnheiten
Bereits Vorschulkinder können beim Abgewöhnen von schädlichen Gewohnheiten therapeutisch begleitet werden. Dadurch werden Zahnfehlstellungen verhindert oder zumindest positiv beeinflusst. Der Einsatz von Mundvorhofplatten (eine Art Schnuller ohne Nuckel), die wie ein Lippenschild zwischen Lippen und Zähnen liegen, kann z. B. beim Abgewöhnen des Daumenlutschens sinnvoll sein. Sie helfen, den Kieferbogen physiologisch zu formen. Ihr Einsatz sollte mit dem Zahnarzt/ Kieferorthopäden abgesprochen werden.
Bei Erwachsenen geht es zunächst um die Bewusstmachung der Gewohnheiten. Die Zusammenarbeit mit dem Zahnarzt oder dem Kieferorthopäden ist hier sehr wichtig, da durch die Anpassung einer sogenannten Aufbissschiene erst einmal der Druck auf die Zähne und das Kiefergelenk reduziert werden kann. Damit sind jedoch die Ursachen für die schädliche Gewohnheit noch nicht beseitigt. Die Behandlung des Mundraumes führt oft erst zum Erfolg, wenn zusätzlich Methoden zum Stressabbau (Autogenes Training, Feldenkrais, Alexander Technik, progressive Muskelentspannung etc.) sowie gezielte Entspannungstechniken für den Mund-/Gesichtsbereich angewendet werden. Ziel ist eine Umsetzung in den Alltag.
Schlucktraining
Ab einem Alter von ca. 7 Jahren kann die Sprachtherapeutin mit der myofunktionellen Therapie beginnen. Häufig wird hier ein geradezu sportlicher Ehrgeiz der Patientinnen und Patienten angeregt. In einem mehrphasigen Programm werden der richtige Zungenruhelagepunkt und schrittweise die neue Schluckbewegung erlernt; beides wird nach und nach in den Alltag integriert. Dabei werden schwache Muskeln gestärkt, zu starke Muskeln entspannt und die Wahrnehmung im Mundraum gefördert. Da Muskelbewegungen nur durch häufiges Trainieren verändert werden können, müssen ca. dreimal täglich bestimmte Übungen zu Hause durchgeführt werden. Dieses Training ist zeitlich aufwändig (dreimal täglich ca. 5 – 15 Min.) und sollte, damit es nicht vergessen wird, gut in die konstanten Alltagsverpflichtungen integriert werden.
Die Behandlungsdauer richtet sich nach den individuellen Bedingungen: Alter, Schwere und Komplexität der Auffälligkeit, Mitarbeitsbereitschaft etc. In einer letzten Phase wird in größeren zeitlichen Abständen kontrolliert, ob das erlernte Muster zur neuen Gewohnheit geworden ist.
Mit jüngeren Kindern wird das direkte Schlucktraining noch nicht durchgeführt. Hier verbessern vorbereitend mundmotorische Spiele die Wahrnehmung, Bewegung und Koordination beim Atmen, Schlucken und Sprechen. Gegebenenfalls wird die Nasenatmung angebahnt und der Mundschluss gefördert. Die Zungenruhelage kann als Voraussetzung für ein korrektes Schluckmuster und eine fehlerfreie Aussprache spielerisch eingeübt werden.
Verbesserung der Artikulation
In der Sprachtherapie wird die myofunktionelle Therapie mit Übungen zur Verbesserung der Artikulation verbunden. Dabei lernen die Kinder/Patienten, Sprachlaute, die aufgrund des falschen Schluckmusters fehlgebildet werden, richtig zu bilden. Zuerst werden die Laute einzeln trainiert und dann Schritt für Schritt in Wörtern, Sätzen und im freien Erzählen eingeübt. Je nach Alter wird dazu Bild-, Spiel- oder Schriftmaterial eingesetzt (siehe Artikulationsstörung).
Verbesserung der Nasenatmung
Nachdem HNO-ärztlich die Luftdurchlässigkeit der Nase abgeklärt wurde, kann mit dem Einüben des Mundschlusses begonnen werden. Hierzu wird dem Patienten der Atemweg bewusst gemacht. Die Therapeutin misst am Anfang und während der Übungsbehandlung die Lippenkraft. Lippenhaltung und Lippenkraft werden durch spielerische Bewegungs- und Halteübungen verbessert. Um einen dauerhaften Mundschluss zu erreichen, muss die neu erlernte Lippenhaltung zur alltäglichen Gewohnheit werden. Erinnerungshilfen (z. B. Kärtchen oder Aufkleber) sind dabei sinnvoll.
Verbesserung der Körperhaltung
Haltungsverbessernde Übungen werden gezeigt, um eine günstige Körperhaltung zu fördern. Gegebenenfalls wird auf weiterführende Angebote wie „Rückenschule“, Krankengymnastik oder Entspannungskurse hingewiesen.
Gewohnheiten
Achten Sie auf eine Befriedigung der Saug-, Schmatz- und Lutschbedürfnisse Ihres Kindes, in dem Sie ihm z. B. Brotkrusten, Möhren, Beißringe oder Veilchenwurzeln (Drogerie) zum Lutschen und Kauen geben. Ein Schnuller sollte nur bei Bedarf gegeben werden. Für die Ausformung des Mundraumes ist er jedoch weniger schädlich als Daumen oder Finger. Der Schnuller sollte weich sein und leicht aus dem Mund fallen, damit so wenig wie möglich genuckelt wird. Gönnen Sie sich als Erwachsener bei Gewohnheiten wie Zähneknirschen, Zungenpressen etc. regelmäßig Entspannung, Auszeiten und Erholung.
Ernährung
Achten Sie auf eine ausgewogene Ernährung, die abwechslungsreich sein sollte, um die Geschmacks- und Riechzellen zu entwickeln und zu erhalten. Knäckebrot, Vollkornbrot, rohes Gemüse, Obst und Fleisch regen das Kauen an.
Atmung
Bei vorwiegender Mundatmung sollten Sie zuerst einen Hals-Nasen-Ohren-Arzt zur Klärung eventueller organischer Störungen aufsuchen. Übungen zur Nasenatmung und zu verschiedenen Atemtechniken kann Ihnen die Sprachtherapeutin zeigen.
Haltung
Sport und jede Art von Bewegungsspielen sind notwendig für eine gute Körperhaltung. Sie fördern eine harmonische und unverkrampfte Haltung.
Motivationshilfen für Kinder während einer myofunktionellen Therapie
Vielen Kindern fällt es oft schwer, mit der nötigen Ausdauer beim Schlucktraining zu bleiben. Sie helfen Ihrem Kind am besten, indem Sie sich neugierig zeigen, erklären lassen, was es denn zu üben hat und einige Übungen spielerisch gemeinsam durchführen. Viel Lob für konsequentes Üben ist wichtig. Überlegungen, wie das tägliche Üben sinnvoll in das Alltagsgeschehen eingebettet werden kann, sind hilfreich. Erinnerungshilfen wie ein roter Punkt auf dem Badezimmerspiegel, ein Aufkleber auf dem Trinkbecher oder auf dem Federmäppchen sind unterstützend.
Spielerische Übungen
Bereits im Kindergartenalter können Sie spielerisch die Empfindsamkeit Ihres Kindes im Mundraum erhöhen. Zum Beispiel können Trockenfrüchte, Nüsse und diverse Körner sowie kleine Nudelformen oder Buchstabennudeln, bei geschlossenen Augen auf die Zunge gelegt, nur durch Ertasten mit der Zunge erraten und voneinander abgegrenzt werden. Für einen besseren Mundschluss können Sie bei sprachfreien Spielen etwas von den Lippen festhalten lassen (Schaschlikstäbchen, Spatel, Esspapierreifen). Auf diese Weise lassen sich täglich ca. 5-10 Minuten der Mundschluss und die Nasenatmung üben. Gesichts- und Zungenbewegungen fördern Sie am besten, indem Sie gemeinsam mit Ihrem Kind vor dem Spiegel Grimassen schneiden und lustige Zungen- und Lippenbewegungen ausprobieren. Auch zuckerfreie Kaugummis können helfen, wenn sie bei geschlossenen Lippen kräftig gekaut werden.